30 Jahre Deutsche Einheit

3. Oktober 2020

Altenburg. Hungrig auf das Neue, auf Veränderungen, auf Freiheit und die weite Welt. So begann für viele Menschen in Altenburg, im Kreis und der gesamten DDR das Jahr 1990, das im Oktober mit der Wiedervereinigung seinen Höhepunkt fand. An diesem Samstag jährt sich nun zum 30. Mal die deutsche Einheit. Drei Dekaden, in denen sich das Altenburger Land in mannigfaltiger Weise verändert und weiterentwickelt hat. Für die Mitarbeiter der Kreisverwaltung sowie Landrat Uwe Melzer bei allen Aufgaben, die für die Zukunft bleiben, eine Erfolgsgeschichte.

Uwe Melzer
„Im Zuge der Wiedererrichtung der Bundesländer im Jahr 1990 wurde der damalige Kreis Altenburg durch einen Beschluss des Kreistages nicht Sachsen, sondern dem Freistaat Thüringen zugeordnet. Das war eine demokratische Entscheidung. Das Gefühl und das Bewusstsein, Thüringer zu sein, musste bei den Menschen natürlich erst wachsen. Und das hat auch eine Weile gedauert.

Ich bin gern Thüringer und ich glaube, die meisten Altenburger sind das auch. Unsere Ausgangslage in Thüringen war 1990 alles andere als rosig. Der Niedergang des Wismut-Bergbaus und des Braunkohlebergbaus führte bei uns zu massiven wirtschaftlichen Veränderungen und einer hohen Arbeitslosigkeit.

Die Menschen im Altenburger Land haben in den zurückliegenden Jahren Großartiges geleistet und wir können stolz auf die uns gelungene gute Entwicklung sein. Heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, ist das Altenburger Land ein wirtschaftsstarker, familienfreundlicher und kulturvoller Landkreis im Herzen Mitteldeutschlands. Ich sage bewusst im Herzen Mitteldeutschlands, denn wir müssen heute, um erfolgreich zu sein, über Bundesländergrenzen hinweg denken, wir müssen größer, müssen mitteldeutsch denken!

Als eine der ersten Regionen Thüringens trat der Landkreis Altenburger Land deshalb auch im Jahr 2015 dem Verein Europäische Metropolregion Mitteldeutschland e.V. bei. Darin sehen wir eine gute Chance, uns vor allem wirtschaftlich und touristisch nicht nur in Thüringen, sondern im gesamten mitteldeutschen Raum stärker zu vernetzen, von der Zusammenarbeit zu profitieren und uns so als kleiner, aber eben absolut zentral gelegener Landkreis weiterzuentwickeln“, erklärt Landrat Uwe Melzer.

Christian Gumprecht
„Ich bin der neue Landrat und suche nun mein Büro“, stellte sich Christian Gumprecht im Frühjahr 1990 an der Pforte in der Lindenaustraße 9 in Altenburg vor. Oben, in der ersten Etage, wo noch vor Wochen der Vorsitzende des Rates des Kreises saß, warteten auf den Politikneuling gewaltige Aufgaben. „Zu den ganz wichtigen Themen am Anfang gehörten die Beseitigung der Umweltschäden, die Veränderung des Schulsystems und die Verbesserung in der Gesundheitsversorgung in Altenburg“, denkt der heutige Vorsitzende des Kreistags des Altenburger Landes zurück und meint: „30 Jahre Wiedervereinigung ist ein guter Grund zum Feiern.“

Wer wie er damals den Umbruch miterlebt hat, für den seien die Wendejahre noch immer prägend. „Und es ist viel erreicht worden“, findet Christian Gumprecht, der von 1990 bis 2000 Landrat des Altenburger Landes war. Besonders auffällig sind etwa die Verbesserungen im Bereich der Umwelt. „Auch wenn natürlich noch längst nicht alle Altlasten beseitigt sind, ist die Umweltverschmutzung der petrolchemischen Industrie heute kein Thema mehr. Im Bereich der Pflege hat sich sehr viel zum Guten verändert, man muss nur an die tristen Pflegeheime der DDR denken“, nennt er zwei Beispiele.

Christian Gumprecht zieht positiv Bilanz, auch wenn die Nachwendezeit nicht unproblematisch verlief. „Als erstes ist da die Massenarbeitslosigkeit zu nennen. Bei uns waren es die Leute aus der Kohle, die von heute auf morgen ihre Jobs verloren haben.“ Dazu gab es zu Beginn der neuen Zeit im Altenburger Land einen Eklat gegen die gerade erst auf der Straße und an den Runden Tischen errungene Demokratie. Der in einer Volksbefragung mehrheitlich geäußerte Wunsch der Bürger des Altenburger Landes, dem Freistaat Sachsen zugeordnet zu werden, wurde im Kreistag nicht gehört, weshalb der Landkreis heute Teil des Freistaates Thüringen ist. Ein Vorgang, den Gumprecht noch immer ungeheuerlich findet.

Rückblickend glaubt der ehemalige Landrat trotzdem, dass Thüringen für den Kreis wohl nicht schlechter war, als die Zugehörigkeit zu Sachsen. „Unser Theater und die Museen hätten es in der Folgezeit zumindest schwerer gehabt“, analysiert Gumprecht mit einem Blick über die Landesgrenzen. Darüber hinaus sei vor allem das Klinikum zu nennen, das der neu gegründete Freistaat Thüringen den Altenburgern als Willkommensgeschenk machte.

Dr. Bernhard Blüher
Ein modernes Krankenhaus, war für Doktor Bernhard Blüher eine unbedingte Notwendigkeit. „Bis dahin waren die Stationen des Altenburger Krankenhauses an zwölf Standorten über die gesamte Stadt verteilt“, weiß der Mediziner noch, der in der Wendezeit das Amt des Amtsarztes übernahm. „Deshalb ging es im ersten Gespräch, das ich mit dem neuen Landrat geführt habe, um ein neues Krankenhaus für den Kreis Altenburg“, berichtet Blüher.

Das Gesundheits- und Sozialwesen der DDR war staatlich-zentralistisch aufgebaut, während in der Bundesrepublik das Gesundheitswesen dezentral, stark gegliedert, kostenträgerorientiert und vom Sozialwesen getrennt ist, vergleicht der heutige Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikums Altenburger Land die Systeme. „Das DDR-Gesundheitswesen hatte viel Gutes, aber es litt unter den Schwächen der Planwirtschaft.“ Dies zeigte sich etwa in der medizinisch-technischen Ausstattung und der maroden Bausubstanz der Krankenhäuser wie in Altenburg. Am 10. Oktober 1990 wurde der Bauantrag gestellt, eingeweiht konnte der Neubau 1997 werden. „Unser neues Krankenhaus ist ein Kind der deutschen Einheit – ein Jahrhundertbauwerk“, schätzt Blüher ein.

Obgleich der Klinikbau wohl das wichtigste Projekt für ihn war, das einzige war es nicht. Der Umbau des Gesundheitsamtes in der Kreisverwaltung, zu dem die Trennung von Gesundheits- und Sozialwesen gehörte, war ein weiteres. Ebenso die Mithilfe bei der Umstrukturierung der ambulanten medizinischen Versorgung – die Ärzte, die sich nicht niederlassen wollten, blieben angestellte des Kreises über das Gesundheitsamt. „Es ist in der Nachbetrachtung erstaunlich, dass das alles so funktioniert hat“, meint Blüher durchaus stolz und fügt an: Im Jahr 2020 ist die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich höher als noch 1990.

Birgit Seiler
Ein Grund dafür ist auch das heute bedeutend geringere Maß der Umweltverschmutzung. „Ich kann mich noch gut zum Ende der DDR an das Meerchen erinnern. Das ist ein kleiner Bach, der durch Gößnitz fließt. Dessen Farbe hat sich, je nachdem was gerade in der Textilindustrie gefärbt wurde, verändert“, beschreibt Birgit Seiler, Chefin der Umweltbehörde. In den Flüssen floss eine giftige Chemiebrühe aus Industrieabwässern und auch die Luft war voller Schadstoffe, erinnert Seiler. Dank der enormen Mittel, die in den 90er-Jahren für die Sanierung eingesetzt wurden, sei es aber gelungen, viele Altlasten und Umweltschäden zu beseitigen.

Daran ändere die Tatsache nichts, dass längst nicht alles geschafft sei. „Dazu kommen mittlerweile ganz neue Herausforderungen, muss man nur an den Klimawandel und die Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere denken“, betont Birgit Seiler. Doch hat sich zum Beispiel das Meerchen in Gößnitz zu einem besonders schützenswerten Weichholzaue-Biotop entwickelt. Für Birgit Seiler ein Sinnbild für die versprochenen blühenden Landschaften, die im Umwelt- und Naturschutz im wörtlichen Sinn Realität geworden seien.

Angela Kiesewetter-Lorenz
Die Früchte der Anstrengungen und Arbeit jener Jahre gedeihen ebenfalls im Kulturleben des Altenburger Landes. In den 1990ern gehörte Angela Kiesewetter-Lorenz zu den Mitarbeitern der Kreisverwaltung, die am Aufbau eines neuen Kulturamtes mitwirkten. „Das war eine wirklich spannende Phase“, so Angela Kiesewetter-Lorenz, zuständig für Kultur im Landratsamt des Altenburger Landes. Zu tun gab es 1990 jede Menge und ebenso viele neue Möglichkeiten. Das Musikfestival und der Literaturwettbewerb wurden seinerzeit aus der Taufe gehoben. Sie gehören nach wie vor fest zum kulturellen Leben im Kreis. „Dazu haben wir begonnen, den Tourismus in der Region zu entwickeln.“ Dafür brauchte es einen Imagewechsel weg von der düsteren Uran- und Kohlebergbauregion. Eine Aufgabe für den Tourismusverband dessen Gründung das Kuramt damals begleitete und in dem die Kreisverwaltung bis heute Mitglied ist.

Beatrice Müller
Inzwischen lockt auch die große Zahl sanierter historischer Gebäude Touristen ins Altenburger Land. Die Mangelwirtschaft in der DDR war der beste Denkmalschutz, spitzt Beatrice Müller in der Unteren Denkmalbehörde zu.

Sie meint damit den Anfang der 1990er kaum veränderten Originalzustand vieler alter Objekte, angefangen bei Schlössern und Rittergütern über die dörflichen Vierseithöfe bis hin zu den urbanen Gründerzeithäusern. Ein kulturhistorischer Schatz des Altenburger Landes, der vor 30 Jahren freilich erst geborgen werden musste, denn vieles war in bedauernswertem Zustand.

Wie es um die einzelnen Denkmale bestellt war, katalogisierten in den Nachwendejahren ABM-Kräfte. Nach dem Zusammenbruch der Industrie stieg die Arbeitslosigkeit immens an. Wer Glück hatte, bekam eine sogenannte ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme), bestenfalls sogar im Landratsamt. „Im Denkmalschutz eröffnete sich so die Möglichkeit für eine umfassende Inventur. Die ABM-Kräfte sind durch den Kreis gefahren und haben alle potentiellen Denkmale auf Karteikarten dokumentiert“, schildert Müller. Eine einzigartige Datenbasis, von der die Behörde und die rund 900 denkmalgeschützten Gebäude im Kreis bis heute profitieren.

Andreas Brasche
Bergeweise Karteikarten und endlos lange Schlangen an der Zulassungsstelle, diese Bilder hat Andreas Brasche sofort im Kopf, wenn er an die Zeit direkt nach der Wiedervereinigung zurückdenkt. „Der Umbau in der Gesellschaft und der Verwaltungen auf die neue Situation und Rechtslage beschäftigte fast jeden“, weiß der heutige Fachdienstleiter Öffentliche Ordnung noch. Dazu gehörte auch die Ummeldung der Autokennzeichen von alt Ost auf neu West.

„Normale Arbeitszeiten waren undenkbar“, erinnert er sich. Und fast ungläubig fügt er an, dass damals natürlich alle Verwaltungsarbeit noch ohne Computertechnik erledigt wurde. Alles sei auf Karteikarten notiert gewesen, die mühevoll ein ums andere Mal durchforstet werden mussten. Dazu klapperten unentwegt Schreibmaschinen. „So sind wir gestartet, ein Riesenunterschied zur heutigen Arbeit mit Computer und Internet.“ Die in den 1990er-Jahren beginnende Digitalisierung der Verwaltungsarbeit gehört ebenfalls zu den gewaltigen Veränderungen der vergangenen 30 Jahre.