„Bei uns im Altenburger Land sind Menschen, die sich integrieren wollen, herzlich willkommen“

18. September 2015

Altenburg. Kaum ein anderes Thema bewegt die Öffentlichkeit derzeit mehr als der anhaltende Flüchtlingsstrom nach Deutschland. Auch im Altenburger Land kommen derzeit immer mehr Asylsuchende an. Amtsblatt-Redakteurin Jana Fuchs sprach darüber mit Landrätin Michaele Sojka.

Frau Sojka, wie empfinden Sie die Flüchtlingssituation ganz persönlich?
M. Sojka: Das Flüchtlingsdrama, das sich derzeit abspielt, erschüttert mich zutiefst. Die Nachrichten über qualvoll erstickte Menschen in Schlepper-Fahrzeugen und die Fernsehbilder, die bei der Flucht ertrunkene Menschen im Mittelmeer zeigen, treffen direkt ins Herz. So etwas kann einfach niemanden kalt lassen. Rund 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Kriegen, Konflikten und Vertreibung; diese Menschen wollen nur eins: überleben, deshalb verlassen sie ihre Heimat. 60 Millionen – das ist die höchste Zahl, die jemals verzeichnet wurde und sie wächst weiter rasant an. Europa erlebt scheinbar die größte Völkerwanderung seit dem Mittelalter. Darauf war einfach keiner vorbereitet.

Ich hatte in den letzten Monaten viele Begegnungen mit Flüchtlingen, die in ihrer Heimat Schlimmes erlebt haben, jetzt hier versuchen, Deutsch zu lernen, die gerne arbeiten und sich ein neues Leben aufbauen wollen. Das hat mich sehr berührt.

Wie sehen die Flüchtlingszahlen für unseren Landkreis aktuell aus und welche Prognose gibt es für die kommenden Monate?
M. Sojka: Wir haben im Altenburger Land aktuell 500 Flüchtlinge untergebracht. Sie wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft in Schmölln sowie in Altenburg und Gößnitz in Wohnungen. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, ein Teil auch aus den Balkanstaaten. Vor ein paar Wochen noch sind wir davon ausgegangen, am Jahresende rund 600 Asylbewerber hier zu haben. Doch diese Zahl ist längst überholt. Der Freistaat Thüringen weist uns ab sofort rund 100 neue Flüchtlinge pro Monat zu. Die jüngsten Entwicklungen lassen jedoch erahnen, dass dieses Kontingent stetig der aktuellen Situation angepasst werden muss.

Im Asylrecht wird zwischen so genannten sicheren und nicht sicheren Herkunftsländern unterschieden. Wie viele Flüchtlinge im Altenburger Land wurden seit Jahresbeginn wieder in ihre Heimat zurückgeschickt, nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wurde?
M. Sojka: Derzeit halten sich 84 Männer und Frauen bei uns auf, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die also ausreisepflichtig sind. Mein Standpunkt ist klar: Das Gesetz sieht die Ausreisepflicht vor. Es muss umgesetzt werden, damit Plätze frei werden für Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Wer aber aus rein wirtschaftlichen Gründen aus sicheren Herkunftsländern wie beispielsweise Serbien, Mazedonien oder Bosnien ins Altenburger Land kommt und nicht als politisch verfolgt gilt, ist im Asylverfahren falsch. Er wird auf diesem Wege bei uns kein dauerhaftes Bleiberecht bekommen und muss in seine Heimat zurückkehren. In diesem Jahr waren das bisher 26 Menschen. Das Abschiebe-Recht ist aber für die Praxis zu kompliziert. Das Verfahren muss vom Bund unbedingt vereinfacht werden und Deutschland braucht ein modernes Zuwanderungsgesetz. Und: Aus meiner Sicht sollte bei Kriegsflüchtlingen aus Syrien das Asyl bei Vorliegen eines gültigen Dokuments sofort bestätigt werden ohne monatelanges Verfahren.

Der Freistaat Thüringen verteilt die ihm vom Bund zugewiesenen Flüchtlinge nach einem Verteilerschlüssel an die Kommunen. Viele Städte und Gemeinden in Deutschland kommunizieren ganz öffentlich, dass sie mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge so langsam aber sicher überfordert sind. Der Tübinger Oberbürgermeister denkt sogar darüber nach, Häuser für einige Monate zu beschlagnahmen, um die Asylsuchenden unterzubringen. Zeltstädte entstehen, Sporthallen werden umgenutzt. Müssen und werden Sie als Landrätin des Altenburger Landes auch zu solchen Mitteln greifen? Ist die Situation bei uns noch beherrschbar?
M. Sojka: Die Situation ist ernst, aber noch beherrschbar. Wir haben in unserer Gemeinschaftsunterkunft in Schmölln Platz für 105 Flüchtlinge, darüber hinaus im Kreisgebiet 193 Wohnungen angemietet. Zeltstädte oder Containerdörfer wird es bei uns hoffentlich nicht geben. Wir haben hier im Landkreis den größten Wohnungsleerstand in Thüringen und demzufolge noch ausreichend Wohnungsangebote, derzeit leider nur in Altenburg, Schmölln und Gößnitz. Ich erwarte – und dränge auch darauf – dass es auch Angebote aus anderen Städten und Gemeinden gibt. Überall da, wo wir im Landkreis Schulstandorte haben, sehe ich besonders gute Möglichkeiten, Flüchtlinge – vor allem Flüchtlingsfamilien – zu integrieren, auch mit Hilfe aktiver Vereine und der Kirchgemeinden. Im August gab es in der Kreisverwaltung eine Beratung der hauptamtlichen Bürgermeister und VG-Vorsitzenden. Dort haben wir die Amtsinhaber sehr umfassend über die Problematik und die zukünftigen Entwicklungen informiert und um Unterstützung bei der weiteren Suche nach geeignetem Wohnraum gebeten, dies übrigens in den letzten Tagen auch noch einmal schriftlich per Brief an die hauptamtlichen Verantwortungsträger. Eines möchte ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: Wenn ausreichend Wohnraum für eine dezentrale Unterbringung nicht mehr zur Verfügung steht, scheue ich mich nicht davor, öffentliche Einrichtungen wie zum Beispiel eine Schulsporthalle umzunutzen, damit im Winter niemand im Zelt frieren muss.

Der lokalen Presse war vor einigen Tagen zu entnehmen, dass es in Schmölln bald eine zweite und sogar eine dritte Gemeinschaftsunterkunft geben soll. Ist dem so?
M. Sojka: Die Strategie heißt nach wie vor: dezentrale Unterbringung. Trotzdem brauchen wir in unserem Landkreis sozusagen eine erste Aufnahmemöglichkeit, denn die Flüchtlinge, die uns aus den Erstaufnahmelagern zugewiesen werden, kommen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die bisherige Gemeinschaftsunterkunft in Schmölln liegt leider in der Innenstadt und die Ankunft der neuen Flüchtlinge geht eben oft auch mit Ruhestörungen für die Anwohner einher. Es gibt ständig Beschwerden, das kann so nicht weitergehen. Ich will den Nachbarn unbedingt helfen. Wir wollen daher eine für die Nachbarschaft weniger störende Gemeinschaftsunterkunft für Erstankömmlinge einrichten und es gibt diesbezüglich auch schon Gespräche mit der Stadt Schmölln und dem neuen Bürgermeister Sven Schrade.

Was die Mitarbeiter in Ihrer Behörde anbetrifft, die arbeiten sicherlich seit Monaten an der Grenze des Belastbaren …
M. Sojka: Genau so ist das. Derzeit sind 17 Mitarbeiter meiner Behörde im Bereich Asyl tätig. Es ist ein enormes Tagespensum zu bewältigen. Akten müssen angelegt, Formulare und Anträge ausgefüllt, Leistungen nach Recht und Gesetz gewährt, Wohnungen eingerichtet und ausländerrechtliche Entscheidungen getroffen werden. All das natürlich bei großen Sprachbarrieren, und auch so manches Flüchtlingsschicksal geht an den Kollegen nicht spurlos vorüber – keine leichte Situation. Ich habe großen Respekt vor dem, was meine Mitarbeiter – darunter vier Sozialarbeiter – leisten. Wir sind personell komplett unterbesetzt, werden jetzt aber aufstocken. Alle Behörden in Deutschland wurden von der Situation buchstäblich überrollt. Doch jetzt muss es uns gelingen, praktikable Schritte einzuleiten, um die Lage, angefangen vom Bund übers Land bis in die Kommunen, weiter beherrschbar zu gestalten.

Es ist in vielen Bereichen der Gesellschaft so: Ohne das Ehrenamt wäre das Altenburger Land deutlich ärmer. Auch um Flüchtlingen zu helfen, engagieren sich Bürger unseres Landkreises ehrenamtlich. Wobei genau wird Hilfe und Unterstützungen am dringendsten gebraucht und an wen können sich Bürger, die sich engagieren möchten, wenden?
M. Sojka: Die ehrenamtlichen Netzwerke wachsen täglich. Mein Dank gilt allen, die sich bisher für die Asylsuchenden eingesetzt und sie unterstützt haben. Unser Landkreis konnte auf diese Art und Weise ein ganzes Stück Menschlichkeit beweisen. Ich hoffe, dass sich in vielen Städten und Gemeinden Menschen zusammenschließen, konkrete Patenschaften übernehmen, überlegen, wie sie helfen können, „Runde Tische“ bilden. Gute, einzelne Beispiele gibt es schon in Gemeinden, etwa in Altkirchen und in Lumpzig. Ich vertraue auf die Bürgermeister, denen es in ihren Gemeinden hoffentlich gelingt, das eine oder andere Projekt gemeinsam mit Einwohnern und Neubürgern zu initiieren. Ansprechpartner für ehrenamtliche Initiativen in der Kreisverwaltung ist der Migrationsbeauftragte. Angela Kiesewetter-Lorenz hat dieses Amt jahrelang zusätzlich zu ihrer Arbeit als Fachdienstleiterin Bürgerservice und Kultur bekleidet; da wird bis zum Jahresende ein Wechsel stattfinden. Es wird dann eine/n hauptamtliche/n Migrationsbeauftragte/n geben. Für ihr Engagement danke ich Angela Kiesewetter-Lorenz sehr herzlich und freue mich auf die Interkulturelle Woche.

Vielen Dank für das Gespräch.